
Andreas Eifler: Liebe Karina, viele reden vom Kommunalen Finanzausgleich (KFA), aber nicht alle wissen, um was es sich hierbei handelt. Vielleicht kannst du es kurz mit deinen eigenen Worten erklären, was wir unter dem KFA verstehen?
Karina Fissmann: Der eigentliche Gedanke, der hinter dem Kommunalen Finanzausgleich (KFA) steckt, ist, dass die Hessische Verfassung uns vorgibt, dass das Land die Kommunen finanziell angemessen mit Geld versorgen muss. Somit soll sichergestellt sein, dass die Kommunen die ihnen übertragenen Aufgaben erledigen können.
AEI: Angemessen ist ein Wort, was viel Spielraum mit sich bringt. Was heißt denn angemessene Ausstattung mit finanziellen Mitteln?
KF: Genau das ist das Problem, lieber Andreas. Der Spielraum ist sehr groß. Wie in fast allen anderen Bereichen zählen hier die Ballungszentren zu den großen Gewinnern. Während die Zentren durch den KFA gestärkt werden, schauen Kommunen im ländlichen Raum oft in die Röhre. Generell ist eine bessere finanzielle Ausstattung kleinerer Kommunen unbedingt notwendig, damit diese ebenso wie in den Ballungsräumen – attraktiv und zukunftsfähig bleiben und angemessene Infrastrukturen vorhalten können.
AEI: Aber war die Finanzierung durch das Land nicht schon mal besser geregelt?
KF: Ja, das war tatsächlich so. Die Aufgaben sind mehr geworden und für die Finanzierung der Aufgaben steht immer weniger Geld zu Verfügung. Einen großen Einschnitt haben die Kommunen durch den Kommunalen Schutzschirm erfahren, eigentlich eine Aktion, die die Landesregierung als absolute Erfolgsgeschichte betitelt…
AEI: Siehst Du den Kommunalen Schutzschirm als Erfolgsgeschichte?
KF: Im Nachhinein sehen wir, dass in das kommunale Anlagenvermögen weniger investiert wurde und jetzt der Sanierungsstau da ist. Die Bürgerinnen und Bürger wurden zudem mit höheren Steuern belastet. An vielen Aufgaben, z.B. im Kindergartenbereich, kann man einfach nicht sparen und die Aufgaben müssen finanziert werden. Da haben die Kommunen keine Wahl.
AEI: Die Stadt Alsfeld hat gegen das Land Hessen geklagt. Warum?
KF: Die Stadt Alsfeld hat mit zwei weiteren Kommunen am hessischen Staatsgerichtshof in Wiesbaden geklagt, damit gerade die kleineren Städte und Gemeinden finanziell so gestellt werden, dass sie ihre Aufgaben nachkommen können. Hintergrund war die drastische Kürzung des Landes beim kommunalen Finanzausgleich um 340 Millionen €. Damit wurde jedes Jahr den Städten und Gemeinden Gelder entzogen, die diese dringend benötigen. Die Stadt Alsfeld hat am Ende Recht bekommen - das Land Hessen hat sie finanziell aushungern lassen.
AEI: Und sieht es nun in unseren Kommunen besser aus?
KF: Die Kommunen stehen immer noch vor den gleichen Herausforderungen. Die großen Investitionen bleiben nach wie vor bestehen. Da hilft weder ein KFA, noch weitere als gut verkaufte Maßnahmen der Landesregierung. Der größte Brocken sind die Kosten für die Kitas. Allein hier fehlen insgesamt eine Milliarde Euro für Investitionen. Die können sich die Kommunen nicht einfach so aus den Rip-pen schneiden, zumal die Baupreise momentan explodieren. Aber auch andere Posten wie die Kosten für Straßensanierungen oder die Finanzierung der Feuerwehren reißen große Löcher in den Haushalt.
AEI: Aber wie kann man das Problem der Finanzierung denn auf lange Sicht lösen?
KF: Wir als Opposition haben es jährlich bei den Haushaltsberatungen durchgerechnet. Das Land Hessen könnte es sich leisten, die Kosten für die Kitas sowohl für die Kommunen als auch für die Eltern zu übernehmen. Sie könnten die Feuerwehren finanziell wesentlich besser ausstatten, und es wäre finanziell auch möglich, Kommunen und Bürger beim Thema Straßensanierungen und Straßenausbaubeiträgen freizustellen. Das wäre eine konkrete Entlastung der Kommunen bei ihren Pflichtaufgaben. Aber das ist nicht gewollt von der Landesregierung. Lieber hält man an irgendwelchen Prestigeprojekten fest, die jede Menge Geld kosten, aber wenig Nutzen haben. Man setzt aus unserer Sicht falsche Schwerpunkte und lässt dadurch sowohl Bürger als auch Kommunen finanziell ausbluten. Beleuchtete Fahrradwege, die Förderung von Ferien auf dem Bauernhof oder Zuschüsse für Lastenräder sind aus meiner Sicht Dinge, die ich nur fördern kann, wenn die Grundaufgaben eines Staates erst einmal ordentlich finanziert werden.
AEI: Du hast das Thema angesprochen, dass die Kommunen bei der Bewältigung ihrer Pflichtaufgaben stärker entlastet bzw. besser finanziell ausgestattet werden müssen. Ich möchte dir gerne eine aktuelle Problemstellung unserer Gemeinde Wehretal schildern. Die Feuerwehr Reichensachsen benötigt u.a. aufgrund vom technischen Prüfdienst Hessen festgestellter erheblicher Mängel am derzeitigen Feuerwehrstützpunkt und auch aufgrund erweiterter Aufgaben im Zusammenhang mit der A 44 (Tunnel) einen zeitgemäßen Stützpunkt. Die ermittelten Gesamtkosten beliefen sich im Juni 2021 auf rund 5,4 Millionen €. Das Land Hessen „rühmt“ sich, den maximalen Förderbetrag von 40 % der förderfähigen Kosten beizusteuern. Das hört sich erstmal gut an. Der „Pferdefuß“ hierbei ist der Begriff „förderfähige Kosten“. Diese deckelt das Land bei einem solchen Vorhaben wie in Wehretal bei 1,5 Millionen €. Das heißt, das Land beteiligt sich gerade mal mit 600.000 € an der Gesamtfinanzierung. Das ist gelinde gesagt ein Treppenwitz. Die Gesamtkosten des Projektes wurden Mitte Mai 2022 auch aufgrund gestiegener Rohstoff- und Materialpreise in Folge der Preissteigerungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auf rund 8,9 Millionen € geschätzt. Unter Berücksichtigung der Landesförderung von immer noch 600.000 € und weiterer Förder- und Drittmittel beträgt der von der Gemeinde zu finanzierende Eigenanteil rund 7,1 Millionen €. Die jährliche Haushaltsbelastung für Zinsen und Tilgung der Gemeinde erhöht sich von bisher jährlich 230.000 € auf 376.000 €. Zusätzlich wird das ordentliche Ergebnis durch die jährlichen Abschreibungen von 178.000 € belastet. Das sind Summen, die die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinde Wehretal an die Grenze bringt. Und wir reden hier nur von einer dringenden erforderlichen Investition bei der Pflichtaufgabe Feuerwehr. Deswegen nochmal konkret meine Frage: Was wünschst du dir für die Kommunen und würde eine SPD-geführte Landesregierung hier versuchen entgegenzusteuern?
KF: Ich wünsche mir, dass eine neue Landesregierung im nächsten Jahr endlich mit den Kommunen auf Augenhöhe zusammenarbeitet und ich wünsche mir, dass eine neue Landesregierung Kommunen besser ausstattet und auch mal auf eigener Seite kritisch begutachtet, welche Ausgaben wirklich wichtig sind und was vielleicht nur Prestigeprojekte der Landesregierung sind. Kindergärten, Schulen und Feuerwehren sind besser zu unterstützen, denn nicht in Wiesbaden, sondern bei uns vor Ort findet der gesellschaftliche Zusammenhalt statt.